Gesprek van Sloterdijk met Rondas
Peter Sloterdijk: Das schönste und liebenswerteste an der europäischen Kultur geht aus dieser Spannung hervor, nämlich daß man in den Nationalsprachen die Inhalte des kosmopolitischen Geistes artikuliert. Das ist natürlich eine ganz großartige Sache. Ein holländischer Seeräuber aus dem dreizehnten Jahrhundert hat nicht vorhersehen können, daß irgendwann mal Autoren da sein werden wie Harry Mulisch oder Hugo Claus, nicht, die ja den Stoff der Welt in der Muttersprache fassen. Mit anderen Worten, die aus dem Holländischen Weltsprache machen. Mit anderen Worten, wenn alle andere Sprachen aussterben würden, das Holländische ist so gereift, ja, und zwar durch ständige Übersetzung und ständige Assimilation der anderswo formulierten Gedanken…
Jean-Pierre Rondas: Weltliteratur.
Sloterdijk: …daß es keine Gedanken auf der Welt gibt die man dort nicht ausdrücken könnte. Und so gibt es vielleicht heute auf der Welt dreißig, vierzig, fünfzig Sprachen, nicht mehr, die dieses Niveau erreicht haben. Alles andere sind eher noch Volkssprachen in einem Sinn vor der von Ihnen erwähnten Dantischen Revolution, die nämlich die Weltsprache ins Italienische hineinprojiziert. Diese Hineinprojektion des ganzen Weltstoffes und der Weltsprache in eine Nationalsprache, das ist ein kulturelles Abenteuer das nur in einer bestimmten Anzahl von Fällen sich vollzogen hat. Die ist nicht unendlich groß, es gibt auf der Erde vielleicht fünftausend bis sechstausend Sprachen, ich würdige es auf vielleicht sechzig maximal siebzig also der Sprachen haben diese Assimilation, an die, an den Welt…
Rondas: Das habe ich noch nie in dieser Art und Weise formuliert gehört. Daß man das Kosmopolitische übersetzt in die identitäre Sprache. Und daß das Kulturelle…
Sloterdijk: Ich glaube das ist dieses Geheimnis der, des Reichtums Europa, nicht? Die Europäer faseln zwar sich immer so gerne herum von der Einheit in der Vielheit, und der Vielheit in der Einheit, und wissen überhaupt nicht was sie sagen. Die Wahrheit ist einfach, daß in den Sprachen sich dieses Abenteuer vollzogen hat, und daß man in dieser Weise als Holländer, als Deutscher, als Italiener, als Franzose ein ganzer Mensch, also ein ganzer Weltbürger ist. Man ist schon Weltbürger wenn man nur die Sprache des eigenen Landes so spricht, daß sie in der Fülle ihrer Möglichkeiten wahrgenommen wird. Da sind wir wieder bei dem Motiv das wir vorher schon einmal berührt haben. Natürlich hört die Sprache auf Weltsprache zu sein wenn sie nur tool wird. Denn ein tool ist kein…
Rondas: Dann ist auch nicht mehr…
Sloterdijk: …ist kein Weltgefäß.
Rondas: Dann ist es auch nicht mehr Weltliteratur in Ihrem Sinne. Sie haben eigentlich die goethesche Definition von Weltliteratur zugewandt auf, auf…
Sloterdijk: ...auf die Leistung der Sprache selber, nicht? Wenn eine Nation einige Dichter oder einige Schöpfungen hervorgebracht hat, und wenn sie vor allem auch als Wissenschaftssprache artikulationsfähig ist und wenn sie mit den Mitteln der Muttersprache alles sagen kann was die Wissenschaft sagt, dann ist die Sprache selber eigentlich das Vehikel von Weltliteratur, und macht aus ihren Sprechern per se Kosmopoliten. Vor diesem Hintergrund müßten wir eigentlich mit, in Europa über den Multikulturalismus uns gar nicht so sehr den Kopf zerbrechen. Es würde genügen man würde die eigene Sprache ordentlich lernen und dann hätte man eigentlich den Multikulturalismus bereits in adäquater Weise in sich selber ausgebildet, und daß Multikulturalisten oder daß eben Sprecher von…
Rondas: Aber die meinen was anderes, nicht?
Sloterdijk: Ja ja, die meinen nämlich multibarbarische Gesellschaften. Ja oder, oder multiprimitivistische Systeme, ja, wo man mehrere Niveaulosigkeiten, mehrere Formen reduzierter Kultur…
Rondas: Aber viele!
Sloterdijk: Multi, ja multi! Das müssen viele sein, ja. Wenn man viele Barbareien zusammenmischt, dann glaubt man, man hätte sozusagen ein höheres Niveau erreicht. Das ist aber leider nicht wahr, nicht? Sondern, das ist wie mittelalterliche Küche, das ist jeden Tag dasselbe. Eintopf, nicht? Immer wieder Kraut und Rüben. Und da verliert man an Höhe, und mit einer bloßen geistlosen Hybridisierung wird überhaupt nichts erreicht. Im Gegenteil, es gibt Massenkultur, und das muß man aber begreifen: die ist nicht multikulturell sondern multibarbarisch.